Handauflegen
Kann Berührung heilen?
Es klingt esoterisch, doch auch in manchen Krankenhäusern werden Patienten mittlerweile durch Handauflegen behandelt. Der Haptikforscher Martin Grunwald hat die positiven Effekte von Berührung erforscht.
Nah an der Homöopathie
Auf den ersten Blick wirkt die ALB FILS Klinik in Göppingen wie jede andere Klinik: Visite im Minutentakt und hektische Schwestern, die ihre Patienten versorgen. Doch hier ist etwas anders. Einige Pfleger und Pflegerinnen betreuen Kranke, indem sie ihnen die Hände auflegen. Für die Ärzte zunächst eine Herausforderung: „Vom schulmedizinischen Standpunkt aus betrachtet, ist an dieser Methode nichts dran. Das ist schon nah an der Homöopathie. Aber ich denk, da muss man ganz aufgeschlossen sein, denn es gibt Dinge, die wir nicht verstehen, und die wirken trotzdem“ sagt Dr. Axel Kuhwald, Internist an der Klinik.
Was ist dran an der Methode?
Ob Hand auflegen wirklich heilt, ist fraglich. Trotzdem hat die Geschäftsführung des Göppinger Krankenhauses beschlossen, die so genannte Therapeutic Touch-Methode einzuführen. Neben der regulären Betreuung wird die Berührungs-Behandlung von Mitgliedern des Pflegeteams durchgeführt. „Besonders gut geeignet ist die Methode für Patienten, die zum Beispiel wenig Appetit haben, die schlecht mobilisierbar sind oder die in sich zurückgezogen sind“, erklärt Wenke Zickwert, Krankenschwester und Therapeutic Touch Therapeutin. Und die Erfolge beeindrucken sowohl die Ärzte als auch das Pflegeteam. Die Wirkung auf die Patienten wurde zwar noch nicht systematisch erfasst, dennoch scheint sie in eine positive Richtung zu gehen. Etwa bei einem Patient, der seinen Lebensmut verloren hatte. Nach der Behandlung war er wie ausgewechselt erzählt Wenke Zickwert: „Dieser Stimmungswechsel – das war ganz fantastisch. Da war ich ganz hin und weg.“
Das sagt die Wissenschaft
Therapeutic Touch wurde in den 1970er Jahren in den USA entwickelt. Es heißt, die Patienten hätten ein Energiefeld, was unter anderem mit der Quantenphysik begründet wird. Doch die Methode findet unter Wissenschaftlern zunächst keine Anerkennung. Physiker sprechen gar von Pseudo-Argumentation. Um die Therapie auf wissenschaftliche Füße zu stellen, wurden zudem zahlreiche Studien angefertigt. Keine hielt jedoch den kritischen Augen der medizinischen Fachwelt stand.
Die Schwestern sind dennoch vom positiven Effekt des Hand Auflegens überzeugt.
„Kein Wunder“, meint Prof. Martin Grundwald, Leiter des Haptik Labors an der Uniklinik Leipzig. „Die Berührungen lösen unter anderem die Bildung des Hormons Oxytocin aus. Dieses Hormon ist auch wirksam im Bereich des Schmerzes. Es reduziert den Schmerz und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Schmerzregionen. Es verändert die Aufmerksamkeit im Sinne von Entspannung. Und Entspannung – das wissen wir aus der Schmerzforschung – kann wesentlich dazu beitragen, dass auch das Schmerzerleben sich verändert.“
Haptik Forscher finden Erklärungen
Das Leipziger Haptik-Team untersucht sämtliche Fragen, die mit dem Tastsinn und dem „Berührt-Werden“ zusammenhängen. Demnach wirkt die intensive Zuwendung, die Patienten beim Therapeutic Touch erfahren, sicher unterstützend. Doch die Wärmebildkamera zeigt, dass Berühren auch handfeste Effekte hat. Die Körpertemperatur steigt. Das wiederum löst verschiedene biologische Reaktionen aus. Blutdruck und Herzfrequenz sinken, ebenso wie die Konzentration des Stresshormons Cortisol.
Die positiven Effekte von Berührung würden in der Arzt-Patienten Beziehung allerdings nicht genutzt, kritisiert Grunwald. In der Medizin herrsche Distanz statt Nähe: „Es fehlen die wichtigen Momente, in denen Menschen sich für einen Moment berühren, um sich gegenseitig zu versichern: Das wird schon, wir kriegen das hin, wir sind gemeinsam ein Team.“
Ärzte berühren ihre Patienten kaum
Gerade Ärzte tun sich mit Berührung der Patienten schwer. Und das, obwohl sie besonders großen Einfluss auf sie haben, wie Studien zeigen. Doch nicht nur deshalb wird Therapeutic Touch in Göppingen von der Pflege angeboten: „Ich bin höchstens fünf Minuten beim Patient und hab nur einen kleinen Aspekt des Tages gesehen. Die Pflegekraft ist demgegenüber eine ganze Schicht vor Ort. Deswegen ist es schon richtig, dass die Behandlungen aus diesem Bereich heraus kommen“, so Dr. Kuhwald.
Zeit und Geld spielen auch für die Pflegekräfte eine Rolle. Und daran hapert es. Noch behandeln die Schwestern hier während der regulären Arbeitszeit. Mit mehr Personal könnten sie Therapeutic Touch neben der Hektik im Alltag gezielter durchführen.
Fakt ist:
Heilen kann Therapeutic Touch nicht, aber bei manchen Menschen Heilung unterstützen. Deshalb wird die Behandlung an der Göppinger Klinik weiter angeboten. Der Geschäftsführer der Krankenhauses hat dafür einen finanziellen Extratopf zugesagt.
Sigrid Lauff
Stand: 14.10.2015, 14.28 Uhr
Source : https://www.swr.de/odysso/handauflegen-kann-beruehrung-heilen/-/id=1046894/did=16129312/nid=1046894/1lyz0v7/index.html